Einleitende Worte  von Dr. Konstantin Kaiser beim internationalen Symposium „Ästhetisierung der Prostitution. Geschichte und Gegenwart“ mit Vortragenden aus Deutschland, Frankreich, Norwegen und Österreich am 5. März 2016.

Einer Meldung von Deutschlandradio Kultur vom 10.8.2014 zufolge fand 2014 in Hamburg eine Konferenz zur „Ästhetisierung der Sex-Arbeit“ statt. Eingeladen waren nur Aktivistinnen, „die für eine Idee des ’sex positiven Feminismus‘ stehen“, so z.B. eine Frau, die ihr Geld damit verdient, sich vor der WebCam auszuziehen und dann „die Fantasien umsetzt, die ihr virtuelle Freier irgendwo auf der Welt gegen Geld im Internet schreiben dürfen“. Also eine technisch fortgeschrittenere Form des Telefonsex, wel­chen Robert Altmann 1993 in seinem Meisterwerk „Short Cuts“ so trefflich geschildert hat… Nicht eingeladen wurden da „ganz bewußt“ Feministinnen „à la Alice Schwarzer“.

Abgesehen von der impliziten abgedroschenen Unterstellung von der Sex­feindlich­keit des Feminismus (sofern er der Prostitution und dem damit verbundenen Ge­schäften ablehnend gegenübersteht) – wir werden darüber noch im Referat von Trine Rogg Korsvik aus Norwegen hören – und der taxfreien Kreation eines „sex-positi­ven“ Feminismus, stutzt man bei dem Titel, „Ästhetisierung der Sex-Arbeit“. Ist denn Ästhetisierung, zumindest seit Walter Benjamins „Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reprodu­zierbarkeit“, nicht als ein Begriff der kritischen Sonde­rung eingeführt, ein Begriff, der weniger auf die Konstruktion als auf die Dekon­struktion eines als schön und stimmig Behaupteten zielt? Ist Ästhetisierung nicht bloß Übertünchung einer ganz anderen Realität durch permanente Beschönigung, Verkitschung, durch Pomp und Samtvorhänge, der Aufbau einer Kulisse, bei der sich die eigentliche Handlung nicht wie auf dem Theater vor der Kulisse, sondern hinter ihr vollzieht? Claudine Legardinier aus Frankreich gibt uns jedenfalls in ihrem Referat viele Hinweise auf die Kulissenschiebe­reien in der französischen Tradition.

Was die österreichische Tradition betrifft, sehen wir uns literarisch vielfach mit den Illusionen der Freier und ihrer Ästhetisierung konfrontiert. Von den vergnüglich nacherzählten G’schichterln über die Wiener „Grabennymphen“ des ausgehenden 18. Jahrhunderts bis zur Felix Salten zugeschriebenen „Josefine Mutzenbacher“ ist immerzu von den Gefühlen, Erwartungen, Freuden der männlichen Freier die Rede – und dies vor allem auch dann, wenn der Erzähler in die Haut des „süßen Mädels“ schlüpft.

Eine neue Wende nimmt die „österreichische Tradition“ dann angesichts der Eman­zipationsforderungen der Frauenbewegung im ausgehenden 19. Jahr­hundert: Eine radikale Repräsentantin der Frauenbewegung, Irma von Troll-Borostyáni, wird heute von Christa Gürtler aus Salzburg vorgestellt. Otto Weiningers vielbeachtete Schrift „Geschlecht und Charakter“ (1903) sistiert nun das Weibliche als einen Ort der Triebhaftigkeit und Geistlosigkeit. Ein Karl Kraus, der – so in „Das Ehren­kreuz“ – sehr wohl gegen die polizeiliche Schikanierung und Mißhandlung der Prostituierten protestierte, folgte Wei­ninger in der Umkehrung, daß er das, was Weininger am „Weib“ verachte­te, gerade als dessen Vorzug ansah. „Den Vorzug der Frau, immer erhören zu können, hat ihr die Natur durch den Nachteil des Mannes verrammelt.“ Von da zu der ungeheuerlichen Beschönigung der Prostitution durch die Prostituierten unterstellte Nymphomanie ist’s ein kleiner Schritt. – Katha­rina Prager aus Wien wird u.a. darüber sprechen.

Die Arbeiterbewegung hat den Blick auf das Elend gerichtet, das Frauen in die Prostitution treibt. Der Blick sozialdemokratischer und kommunistischer AutorInnen fällt fast ausnahmslos auf die zerstörerischen Folgen der Prosti­tution für die Frauen, als da sind Krankheit, Aussichtsloigkeit, Absturz in noch größeres Elend. Ich selber werde ein wenig davon berichten. Über die soziale Zerrüttung, die heute viele Mädchen und Frauen aus Teilen Ost­europas dazu treibt, oft von falschen Vorspiegelungen verlockt, sich in westeuropäischen Ländern zu prostituieren, wissen wir im allgemeinen Bescheid – Erzählungen über ihre Schicksale hingegen fehlen in unserer Literatur der Gegenwart weitgehend. Über die Gründe und Umstände des Schweigens der Betroffenen selbst und auch derer, die in ihren Namen zu reden behaupten, wird Sonja Pleßl sprechen.

Die beiden Weltkriege, besonders aber Faschismus und Nationalsozialismus haben durch den kalkulierten Einsatz von Soldatenbordellen und Vergewalti­gungen, verbunden mit „Rassenhygiene“ und Menschenzüchtungsideen in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß die Sexualität in den Dienst von Machtausübung und Gewaltanwendung gestellt. Zerschlagen wurden bürger­liche und proletarische Frauenbewegung gleichermaßen.

Diese zunächst erfolgreich scheinende brutale Pragmatismus des Nationalso­zialismus – gleichzeitig verbunden mit der Vorstellung einer mystischen Gemeinschaft des Blutes – ist mentalitätsgeschichtlich nicht spurlos vor­übergegangen, das bezeugt schon das nicht abreißende Gejammer über den Verlust der Werte in den Nachkriegsjahrzehnten, wobei solcher Verlust meist nicht aus den eben verübten Massenmorden erklärt wird, sondern aus dem „Materialismus“, „Egoismus“ und manchmal auch der „Gottferne“ der modernen Gesellschaft, die in Österreich so modern gar nicht war. Auch hier stehen wir wieder vor einer Kulisse, die nicht als Hintergrund, sondern als Vorhang dient.

Diejenigen, die heute von einer Welt sprechen, „in der alles käuflich ist“, und fragen, warum dann „ausgerechnet Sex nicht käuflich sein“ sollte, sind sich sicher nicht bewußt, wie sehr ihr Argumentieren dem alten Lamento über den Verlust der Werte ähnelt. Wenn man aber am ’schlimmen Zustand der Welt‘ etwas ändern will, muß man zuerst aufhören, ihn als Rechtferti­gung für alles mögliche zu strapazieren.

„Sexarbeit“ sei, wie es weiter heißt, „eine Dienstleistung, ein Beruf wie jeder andere“. Ingrid Strobl wird in ihrem Referat skizzieren, was sogenann­te Sexarbeit praktisch bedeutet und welche Selbststilisierungen und -illusio­nierungen sie notwendig hervortreibt. Ob Prostituierte es als einen Fort­schritt ansehen, als „Sexarbeiterinnen“ tituliert zu werden, sei dahingestellt. Der Ausdruck „Sexarbeit“ jedenfalls beschönigt, ja verhöhnt, was Prostitu­ierten widerfährt, wenn zahlende Kundschaft ihren „Sex“ an ihnen abarbei­tet. Es ist kein Wunder, daß eine Rachel Moran, eine „Überlebende“ der Prostitution, den Euphemismus „Sexwork“ bedingungslos ablehnt – nicht nur deshalb, weil er an die Stelle eines Mitgefühls mit dem Schicksal prostituier­ter Frauen den nüchternen Respekt vor einer Berufsgruppe zu setzen vor­gibt.

Die Beispiele „freiwilliger, selbstbestimmter SexarbeiterInnen“, die wie seltene Fabergé-Eier von einer Aussendung zur anderen, von der einen Propagandaschrift zur nächsten herumgetragen werden, dienen, so wenig glaubhaft sie sind, der Kulissenschieberei. Manche der Vereine, die sich da um das Wohl von Prostituierten bemüht zeigen, verhalten sich – „nichts gehört, nichts gesehen“ – wie die Kölner Polizei nach den Silvesterereignis­sen. Bei der Kölner Polizei dauerte die Lähmung allerdings nicht so lange.

So sachlich professionell Worte wie „Sexarbeit“ und „Dienstleistung“ klin­gen, stellen sie doch auch eine Ästhetisierung dar: Die Preisgabe selbst der intimsten Teile des eigenen Körpers zur sexuellen Erregung und Befriedi­gung beliebiger Personen wird in die hehre Sphäre des Ökonomischen, der produktiven Arbeit, der Wertschöpfung erhoben und damit dem Anschein nach normalisiert. Es geht dabei nicht um einen Begriff der Sache, also um Differenzierung und Unterscheidung, sondern umgekehrt um Entdifferenzie­rung und Verwischung.

Noch ein Wort zum Thema „Betroffene“. Ich glaube nicht, daß Prostitution nur ein Problem der Prostituierten, der Zuhälter, der Beratungsstellen und vor allem der Freier ist. Sie beruht auf einer prinzipiellen Herabsetzung und Entwürdigung der Frau, die auch alle anderen Frauen betrifft. Sie geht auch ein in die erotischen Phantasien und in das sexuelle Verhalten von Männern, die keine Freier sind. Lydia Mischkulnig wird sich zum Abschluß unserer Tagung literarisch mit dieser Frage der Würde auseinandersetzen.